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Von fleißigen Frauen, vom Scheitern und vom Weitermachen. Ein Plädoyer

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Karolin setzt sich in ihrem sehr persönlichen Text mit den Bedeutungen auseinander, die „Weitermachen“ für ihr eigenes Leben und für das der Frauen, den Müttern, Tanten und Großmüttern, in ihrer Welt hat(te). „Weitermachen“ ist für sie sehr eng verbunden mit „Funktionieren“ und „Müssen“ – und mit den Vorwürfen, mit denen sie konfrontiert wird: Arbeitslos. Single. Chronisch krank. Nicht einmal Mutter. Trotzdem erschöpft. Karolin setzt dabei ihre persönlichen Erfahrungen in einen größeren Kontext. Sie will darüber reden, „weil unser Scheitern sehr ähnlich ist“.

von Karolin

„Hätte. Könnte. Würde. Machen …“, was für ein dämlicher Spruch. Der lief mir mehrfach über den Weg und ich finde ihn einfach nur doof. Wieder so ein Drüberbügeln, Negieren, Plattmachen, Weitermachen. Blubb.

Weitermachen – ein Wort welches wie eine Hintergrundmelodie im zackigen 4/4-Takt in meinem Leben zu laufen scheint, vor allem in den weiblichen Biografien meiner Welt. Weitermachen ist für mich eng verbunden mit Funktionieren und Müssen.

Die fleißigen Frauen

Aufgewachsen bin ich zwischen fleißigen und immer tätigen Frauen in der DDR, wo es Ziel war jede Frau in die Arbeitsprozesse einzubinden. Für die Kinder gab es staatliche Einrichtungen und selbst die Kleinsten wurden früh betreut. Alles war praktisch und funktional – nach Uhrzeit. Es gab genaue Zeiten für Schlafen, Essen, Töpfchen.

Meine Mutter arbeitete 40 Stunden – die Zweitschicht zu Hause nicht mitberechnet. Das war ziemlich normal. Genauso wie es normal war, dass der Haushalt von den Frauen zu erledigen war. Inzwischen hat meine Mutter auch Hobbys, was mich ein wenig beruhigt.

Ich war ein braves Kind und habe die an mich gestellten Herausforderungen erfüllt, inklusive der täglichen Aufgaben. Aber nachdem ich mich jahrelang durch die Schule gequält hatte, wollte ich irgendwann nicht mehr weitermachen und ließ das mit dem Abi bleiben.

Auch meine Tanten gehörten zu den fleißigen Frauen. Es gehörte sich zu arbeiten. Hart zu arbeiten und meistens auch nicht besonders gut zu verdienen. Ich glaube ausgeschlafen waren sie nie. Sie hatten alle Kinder. Ich erinnere mich nicht an Pausen oder wirkliche Leerzeiten – was wahrscheinlich der Grund ist, warum sie ihre Rollen nie hinterfragten, zumindest erkläre ich mir das so. Selbst das Wochenende schien mir immer gefüllt. Denn es lief nach Plan und Aufgaben.

Befremdliche Normalität

Trotzdem das für mich Normalität war, war es irgendwie befremdlich. Umso mehr, je älter ich wurde und, ja, vielleicht auch andere Familien erlebte. Andere Lebensweisen. Mit Erstaunen schaute ich auf dieses nimmer endende Weitermachen und ewige Funktionieren.

Es hatte zu laufen.

Kranksein gab es nicht und auch keine Ausnahmen. Das lernte ich schon früh.

Meine Oma zog sechs Kinder groß – auch sie war alleine verantwortlich für den Haushalt. Da sie aber als Schneiderin zu Hause arbeiten konnten und dies wohl auch eher nebenher tat, hatte sie zumindest ein wenig Freiraum in der Gestaltung ihrer Tage, denn es gab keine_n Arbeitgeber_in, der_sie strikte Zeiten vorgab. Und die Kinder konnten bis zur Einschulung zu Hause bleiben und frei spielen. Sie hat immer funktioniert und erst spät habe ich verstanden, dass es ihr nicht gut ging. Heute bin ich mir sicher, dass das damit zusammenhing, dass es neben dem Weitermachen keine Wahl zu geben schien. Das Muster des Funktionieren-Müssens, des Weitermachen-Müssens, vermutlich vom Aufbau nach den Kriegsjahren, blieb. Und wenn man Kinder hat, ist eine Pause eben auch nicht so einfach drin.

Keine Lust auf Müssen

Ich selbst habe inzwischen eine regelrechte Allergie gegen Systeme entwickelt, welche mir immer alles von außen vorgeben und in denen ich zu spuren habe – das ist ja leider die Normalität. Aber ich funktioniere eben auch nicht mehr so, wie ich das sonst in meinem Umfeld wahrnehme. Ich habe keine Lust mehr in diesen Kategorien des Müssens und Funktionierens zu denken. Keine Lust mehr darüber nachzudenken, wie man dem System entsprechen kann.

Und ich kann es auch nicht mehr.

Es ist gleichermaßen zum Lachen und zum Weinen, und irgendwie auch absurd: Als ich mit gerade 18 Jahren von Zuhause ausgezogen war, ging es genauso weiter, wie ich es dort gelernt hatte. Ich hatte automatisch die Muster übernommen, es war mir in Fleisch und Blut übergegangen. Einfach weitermachen war die tägliche Devise, es gab nichts anderes.

Irgendwann wurde mir klar, dass ich so auf keinen Fall leben wollte. Die Frau als ständig tätiges Wesen, immer am Machen, immer fleißig, schnell und zuverlässig und für alles zuständig. Aufgelöst in den Strukturen, kaum noch als eigenständiger Mensch mit eigenen Interessen wahrnehmbar. Der Mensch braucht Ruhe und Pausen, um zu sich zu kommen.

In der Zeit meines Studium hatte ich das erste Mal das Gefühl etwas freier zu sein und nicht ständig unter Zwang. Aber die Freiheit war gar nicht so einfach zu leben, da musste ich mich auch erst einmal zurechtfinden. Wir waren eine bunte Fachhochschule – und wer war tatsächlich am besten organisiert? Die Mütter. Sie hatten meine Bewunderung.

Ich erinnere mich an einen Krankenhausaufenthalt – ich hasse Krankenhäuser und habe zu dieser Zeit daran ebenso wie an meinen Beschwerden sehr gelitten. Damals erzählte mir eine Mitpatientin, beruflich in leitender Position, etwas vom Thema Pragmatismus, das ich mir bis heute immer wieder zu Herzen nehme. Denn manchmal ist genau das die hilfreiche Option: Gefühle hinten an und einfach durch. Nicht groß drüber nachdenken.

Pragmatismus, das Weitermachen, wird meiner Oma die ersten Jahre nach dem Krieg sehr geholfen haben, aber irgendwann wurde es zur Normalität. Andere Dinge, die Raum gebraucht hätten, blieben in der Verdrängung. Es war nie der richtige Zeitpunkt gekommen. Es gab ja immer was zu tun. Finden wir dieses Muster heute nicht auch noch in vielen unseren Familien? Ist es nicht eine Art Gesellschaftskrankheit? Kein Raum für die Erforschung unserer Gemütslagen.

Pragmatismus ist zu wenig

Die Lösung für alles ist der Pragmatismus nicht – viel zu viele scheinen in meinen Augen aber danach zu leben. Ich beobachte sie überall die fleißigen Frauen, im Supermarkt beim Regal-Einräumen, auf der Straße, wo sie mit dem Fahrrad und zwei Kindersitzen ausgestattet zum Einkaufen fahren, dort, wo sie sich krank ins Büro schleppen, oder in meinem eigenen Umfeld – A., die schnell ihre Krebserkrankung hinter sich bringen will, alles zeitlich getaktet, das medizinischen Rädersystem genau dies fördernd an der Seite, um dann noch die letzten Jahre bis zur Rente fleißig arbeiten zu gehen. E., die nebenbei eine Therapie macht, um auf der Arbeit nicht auszufallen. M., die immer wieder Schmerztabletten nimmt, um den Tag durchzustehen, ohne Arbeit ist schließlich alles nichts.

Am erschreckendsten finde ich dieses Muster in meinem nahen Umfeld. Junge Frauen, oft waren es Freundinnen oder auch Nachbarinnen. Schneller als man schauen konnte, gerieten auch sie in diese Mühle. Als hätte so etwas wie Emanzipation nie existiert. Mir schien es, als hätten wir uns alle die Freiheit nur für ein paar kurze Jahre erkämpft, oft mit schlechtem Gewissen, ob man das denn tun dürfe? Einfach einmal „faul sein“. Einmal länger krank sein. Ein wenig Freiheit. Kaum gestattete man sich ein Ausschlafen, hieß es auch schon wieder früh im Büro anzutreten, oder ein Baby durch die Nacht zu begleiten.

Die Überforderung nie weit entfernt.

Die Frauen erhärten. Das erschreckt mich immer wieder. Wenn ich früher nachgefragt hatte, bekam ich immer die gleiche Antwort: Das Müssen. Es geht nicht anders. Nur so. Aus diesem und jenem Grund. Und es gab immer Gründe. Ich spürte von diesen Frauen oft diesen Blick auf mich herab. Auf mich, die ich doch keine Ahnung hätte. Sie vermittelten mir ein großes Unverständnis über meine Lebensweise. Das Müssen war zu ihrem Motto geworden. Und an dieser Stelle fanden wir keinen Zugang mehr zueinander.

Kurz gesagt: Ich merkte, wie satt ich das Funktionieren hatte. Ich entdeckte das Thema Bedürfnisse und fing an nach meinen zu suchen. Ich stellte fest, dass ich mich 30 Jahre lang immer wieder permanent durch mein Leben gequält hatte – oft durch die Auflagen von außen.

Die Ausnahme in einer fleißigen Familie

Irgendwann ging es nicht mehr. Es waren mehrere Sachen, die dazu führten. An diesem Punkt erledigt sich dann irgendwann auch die Kinderfrage – von allein sozusagen. Weil es klar ist, dass man schon ohne Kinder kaum Kraft hat den Alltag zu bewältigen. Ich bin die Ausnahme der Familie, zwischen all den (offiziell) fleißigen, immer arbeitenden Menschen. Ich bin die offiziell arbeitslose Single-Frau zwischen den Müttern. Die Erschöpfte zwischen all den zackigen und fitten Frauen. Die Chronisch-Kranke zwischen den Wieder-Gesund-Werdenden, die immer gern einen Ratschlag für mich haben: Hauptsache Arbeit, egal, wie wenig Geld es gibt, egal, wie hart, egal, wie wenig sie dir entspricht.

Aber das ist eigentlich die Erwartung, die mir immer wieder entgegen schwappt. Weitermachen. Und dann der Vorwurf: Nicht einmal Mutter. Meinen müden Freundinnen kann ich auch nicht sehr helfen, da ich viel mit mir zu tun habe. Oft ist der Kontakt nur noch ein seidener Faden, weil sie es nicht zu verstehen scheinen, dass diese Form des Weitermachens nicht mehr geht. Ich sie auch nicht mehr will. Weil Emotionen keinen Platz haben in der Welt des Müssens. An gewissen Punkten gibt es einfach kein Zurück mehr.

Mein Körper streikt.

Seit Jahren sitze ich nun mit meinem schlechten Gewissen beim Kaffee und wir versuchen uns zu einigen – der innere Kritiker kommt oft zu Besuch und Frau Selbstzweifel versteckt sich dauernd in irgendeiner dieser chaotischen Ecken in meiner Wohnung.

Neue Formen des Weitermachens

Mit dem „Anders-als-die Norm-sein“ ergab sich aber eine neue, andere Form des Weitermachens. Gerade wenn ich eine depressive Phase habe, hilft es mir, Dinge auf meiner To-do-List zu haben. Dinge, die ich mag, wie mein Kriegsenkelprojekt, mein Leseblog oder meine Handarbeiten. Wenn mein Erschöpfungssyndrom die Leitung übernimmt, ist das schwieriger, weil dann noch mehr die Kraft fehlt, zum Beispiel für den Haushalt. Eine immerwährende Übungsbasis zwischen Selbstakzeptanz und Selbstannahme – auch wenn ich fehlerbehaftet und, wie ich es nenne, etwas beschädigt bin – und dem Druck von Innen und Außen zu genügen.

Wobei ich über das Genügen schon hinaus bin und eher daran arbeite, die Dinge für mich zu kommunizieren – weil wir darüber sprechen müssen. Weil Normalität nichts mit Perfekt-Sein zu tun hat. Weil unser Scheitern sehr ähnlich ist.

Man ist nie nur dieser eine Anteil, sondern auch ganz viele andere Teile. Auch ich arbeite zum Beispiel ständig – nur, es ist eben keine Erwerbsarbeit, keine Arbeit, die durch einen Lohn Anerkennung findet. Viele Menschen tun das. Gerade durch Krisen, Tiefs und Unzulänglichkeiten, durch das Nicht-Funktionieren, lernt man sehr viel über das Leben, über Tiefe und Echtheit. Für mich sind das Erfahrungen, die mich andere besser verstehen lassen. Erfahrungen, die das Leben lebendig machen.

Man fängt an seine Bewertungen zu hinterfragen. Ist man nur etwas wert, wenn man entsprechend den Erwartungen etwas leistet? Und was ist eigentlich Arbeit? Was Leistung? Wie wird etwas einsortiert? Als Arbeitnehmer_in soll man flexibel sein, der_die Arbeitgeber_in gibt vor, die Mutter lebt entsprechend dem Kind, das sich dann wiederum den Vorgaben von Einrichtungen anpassen muss.

Einfach weitermachen, sich anpassen, kann es das gewesen sein?

Ich glaube nicht. Veränderung fängt bei jedem selbst an – auch die Veränderung für eine neue und menschlichere Gesellschaft. Veränderung, die das Lebendige fördert und nicht ein System, das immer weiter weg ist, von dem was wirklich Realität ist. Weg von dem, was es bedeutet zu leben.

Wir wollen einfach immer unser Chaos rund um uns hurtig in Ordnung bringen..
Dabei wäre es endlich nötig, müde in eine tiefe Einheit mit uns selbst zu versinken, statt weiterzumachen und unser Ich würde zum Ausdruck kommen! (N. Wulf)

Mein Tipp:

  • Einfach ‚mal Pause machen vom (Weitermachen)-Müssen
  • Wenn alles rund läuft, so wie ein Wirbelstrum und jemand zum Drüber-Reden fehlt, schreib es auf. Schreib wirklich alles auf, schreib’s zweimal, dreimal, so oft es nötig ist, befrei deinen Kopf und überleg‘, was du brauchst, damit es dir besser geht und welchen kleinen Schritt du tun kannst und magst.

KAROLIN (1975) bloggt zum Beispiel unter reingelesen, ist ehrenamtlich u. a. für die seelische Gesundheit unterwegs und berät zum Thema „Finde Ausdruck“, beschäftigt sich ausgiebig mit Geschichte, Pädagogik, frühkindlichen Lebenswelten und hat eine Kriegsenkelgruppe gegründet.


Beitrag erschienen in: weiter.machen

Beitragsfoto: Shailesh padalkar



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